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Thomas Greczmiel

Montag, 12. April 2021, noch 180 Tage

Gibt es ein Runners-High?


Nach meinem gestrigen 20 Kilometer-Lauf gibt es heute mal einen längeren Bericht, der so auch in mein Buch Eingang finden könnte. Viel Spaß beim Lesen!


Ich hatte eine gute Woche. Über Ostern zwei Wochen alten Urlaub aus dem Vorjahr abgebaut. In der Zeit fleißig am Buch weitergeschrieben und die Aktivitäten in den Social Media Kanälen intensiviert. Natürlich viel trainiert. Und viel gegessen, weil Michaela ihren runden Geburtstag coronabedingt über mehrere Tage in ganz kleinen Kreisen gefeiert hat. Vorgestern ein Interview für eine regionale Zeitung gegeben ‚Falkenseer startet beim Ironman Hawaii‘. Eine Frage des Chefredakteurs Carsten Scheibe von „Unser Havelland“ war, „Gibt es eigentlich ein Runners-High?“


Heute steht der lange Lauf auf dem Plan, mit 2 Stunden etwas kürzer als letzte Woche, wo er auf 2:30 angesetzt war. Vormittags bei der Gartenarbeit war ich beim Ausbuddeln der Wurzel schon irgendwie schlapp gewesen. Die Lust auf den langen Lauf hielt sich in Grenzen. Aber Plan ist Plan und so habe ich die Laufklamotten angezogen und bin los. Das schöne war, ich hatte mir am Vortag gewünscht, dass es endlich Frühling wird, und heute waren plötzlich 19 Grad und Sonnenschein, nachdem das Thermometer gestern noch bei Regen und Sturm nicht über 8 Grad gestiegen war. Also, kurz/kurz, kurze Hose, kurzes Shirt, einer der ersten Tage des Jahres, an dem das möglich war. Als Musik hatte ich Metal Musik der deutschen Band U.D.O. aufgelegt, „Man and Machine“, „Hungry and Angry“, sehr passend auch „Future Is the Reason Why“.


Erstmal langsam starten zum Warmlaufen. Den ersten Kilometer in 5:50 Minuten absolviert, das ist 20 Sekunden schneller als sonst. Läuft ganz gut. Ich behalte das Tempo bei, der Puls ist im Sollbereich. Ich habe geplant, vier Mal meine 5-Kilometer Standard-Runde zu laufen, damit ich jedes Mal, wenn ich zu Hause vorbeikomme, etwas Iso-Getränk trinken kann, das ich vorher bereitgestellt hatte. Erspart mir das Mitschleppen des Trinkgürtels, der mit den vier kleinen Trinkflaschen bei jedem Schritt auf und ab wackelt. Vier Mal fünf Kilometer sollte etwas mehr als die zwei Stunden ergeben. Tempo nach der ersten Runde konstant unter 6 Minuten pro Kilometer, deutlich schneller als geplant. Fällt mir erstaunlich leicht heute. Ein paar Schlucke getrunken, weiter geht’s. Tempo absolut ohne Probleme gehalten, nach der zweiten Runde das gleiche Prozedere an der privaten Versorgungsstation.


Anfangs der dritten Runde wird es noch leichter. Die Beine laufen irgendwie von alleine. Ich kann die Schritte hören, aber kommen sie überhaupt von mir? Gucke nach unten, da laufen zwei Füße, die ich schon mal gesehen habe, aber sie gehören nicht zu mir. Sie laufen einfach. Ohne mein zutun. Ich spüre die Straße nicht mehr. Berühren die Fußsohlen überhaupt noch den Boden? Ich laufe auf einer Wolke. Mein Tempo wird schneller, liegt jetzt bei 5:40 pro Kilometer.


Das freie Feld, das immer nach zwei Kilometern auf der linken Seite der Straße kommt, hat sich verändert. Sonst war es grün von den Gräsern, die der Jahreszeit entsprechend langsam anfingen zu sprießen. Nun ist es plötzlich blau, auf der Oberfläche kräuseln sich leichte weiße Schaumkronen. Es dringt ein Meeresrauschen durch die Kopfhörer in meine Ohren. Die Luft riecht salzig. Das Feld ist zum Pazifik vor Big Island von Hawaii geworden.


Die Beine laufen weiter. Am Straßenrand, wo sonst immer Zäune standen, stehen jetzt tausende von Zuschauern und jubeln mir und den anderen Sportlern, die mit einem Mal um mich herum mitlaufen, zu. Einige Zuschauer sind mit Hunden unterwegs. Alle tragen Hawaii Hemden, einige Hula Röckchen. Ich biege nach rechts ab, wo sonst immer das Falkenseer Hexenhaus, ein altes Gebäude, in dem ein Restaurant untergebracht ist, stand. Hier sind jetzt amerikanisch/hawaiianische Geschäfte mit bunter Fassade zu sehen.


Die Clara-Zetkin-Straße, auf der ich von zu Hause aus loslaufe, hat sich in den Alii Drive in Kailua Kona verwandelt, der Straße auf der das Ziel des Ironman Hawaii ist. Die Beine Laufen.


Auf der linken Seite der Straße, wo sonst immer die uralte Eiche stand, hat irgend jemand jetzt auf einmal den Banyon Tree hingepflanzt, der 300 Meter vor dem Ziel am Alii Drive steht. Mein Tempo liegt bei 5:20 Minuten pro Kilometer. Der Puls ist zu hoch für den langen Lauf. Coach Dani wird nicht begeistert sein, aber schließlich geht es hier um das Finish beim Ironman Hawaii. Und ich kann nichts dafür, in welchem Tempo die Beine, die sich total verselbstständigt haben, laufen. Sie gehören nicht mehr zu mir. Die Metal-Musik wummert in meinen Ohren ‚Man and Machine‘.


Am Horizont sehe ich einen strahlenden Regenbogen vor rosarotem Himmel, wie man ihn nur auf Hawaii sieht. An die vierte Runde kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Der Körper ist alleine gelaufen. Ich war in einer anderen Welt. In Trance. Hätte mit jedem Profi-Triathleten mitgehalten und in alle Ewigkeit so weiterlaufen können. Durch den Nebel der Glückseligkeit höre ich Mike Reilly, den jahrzehntelangen Sprecher im Ziel des Ironman Hawaii. Er ruft „Thomas Greczmiel – YOU ARE AN IRONMAN – YES YOU ARE!“ Ich habe eine Gänsehaut, kämpfe mit den Tränen. Krame den Schlüssel der Haustür aus der Tasche, schließe auf und bin bei uns zu Hause im Wohnzimmer. Michaela wundert sich über meine strahlenden Augen. Ob die Pupillen vergrößert sind, sieht sie nicht.


Ich war in einem Rausch, wie man ihn vermutlich sonst nur durch psychogene Drogen erzielt. Genau kann ich das nicht beurteilen. Da ich bis auf seltene Fälle von leicht übermäßigem Alkoholkonsum bisher in meinem Leben keine Drogen konsumiert habe, fehlt mir der Vergleich. Aber ich bin mir sicher, dass es absolut vergleichbar ist. Der Rausch, der beim Ausdauersport vorkommt, wird durch ganz ähnliche Substanzen bewirkt, wie der durch Rauschmittel verursachte. Die Endorphine sind ja tatsächlich chemisch eng verwandt mit den Morphinen, worauf schon der Name hinweist. Dabei steht das ‚Endo‘ in Endorphin für 'körpereigen'. Das Endorphin dockt an die gleichen Rezeptoren der Nervenzellen an, wie die aus Pflanzen gewonnenen oder synthetisch hergestellten Morphine.


Unter Läufern wird dieser Rausch ‚Runners-High‘ genannt...

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